Paul Spiegel

Paul Spiegel

* 31.12.1937
† 30.04.2006 in Düsseldorf
Erstellt von Merkur und TZ

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Über den Trauerfall (1)

Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Paul Spiegel, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.

Von trauer.de Redaktion (tc), München

28.06.2006 um 17:13 Uhr von Merkur und
Der jüdische Brückenbauer in Deutschland Kein zweites öffentliches Amt in der Bundesrepublik bringt wohl ein solches Wechselbad der Gefühle mit sich: Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, waren die Anstrengungen seiner Pflichten seit langem anzusehen. Am Sonntag ist der oberste Repräsentant von mehr als 100 000 Juden nach langer Krankheit im Alter von 68 Jahren in Düsseldorf gestorben. Als Nachfolger des von ihm hochverehrten Ignatz Bubis hatte der Düsseldorfer Unternehmer das Amt des Zentralratspräsidenten seit Januar 2000 inne. Spiegel, am 31. Dezember 1937 im westfälischen Warendorf geboren, war ein klarer Warner vor stets spürbaren antisemitischen Tendenzen. Er mahnte eine kämpferische Demokratie an und galt als konzilianter Brückenbauer zur nichtjüdischen Mehrheit der Deutschen. Jeder Angriff auf eine Minderheit "ist ein direkter Angriff auf unsere Demokratie und damit auf jeden Staatsbürger", lautete das Credo Spiegels, der möglicherweise als letzter Zentralratspräsident zur Generation der Holocaust-Überlebenden gehört hat. Überfällige Anerkennung der Juden in Deutschland Paul Spiegel konnte sich im Januar 2003 über den Abschluss des ersten Staatsvertrages zwischen Zentralrat und Bundesregierung freuen. Dieser markierte nach seinen Worten eine "gesellschaftliche Anerkennung der Juden, die längst überfällig war". Auch der erste Besuch eines israelischen Staatspräsidenten bei einer Synagogen-Eröffnung auf deutschem Boden im Dezember 2002 galt als ein Höhepunkt seiner Amtszeit. Doch immer wieder rissen öffentliche Äußerungen wie das israelkritische Flugblatt des FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann oder das lange Eintreten des Autors Rolf Hochhuth für den Holocaust-Leugner David Irving erneut schmerzhafte Wunden auf. Längst, so Spiegels Diagnose, waren antisemitische Einstellungen "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen. Spiegel schaltete sich in die hitzige Debatte um die "deutsche Leitkultur" ebenso ein wie in die Diskussion um das Berliner Holocaust-Mahnmal. Er glaube nicht, dass es absehbar "Normalität" zwischen Juden und Nicht-Juden in Deutschland geben könne, beschrieb Spiegel diplomatisch diese Spannungen. Die Zuwanderung zehntausender Juden aus der früheren Sowjetunion, die Spiegel oft das Wunder einer Wiederbelebung jüdischen Lebens auf deutschem Boden nannte, stellt die Gemeinden vor gewaltige finanzielle und interne Spannungen. Die weitere Integration der Zuwanderer, die zumeist ihrer religiösen Wurzeln entfremdet sind, hinterlässt Spiegel seinem Nachfolger als schwere Aufgabe. Von der nicht-jüdischen Öffentlichkeit fast unbemerkt, gelang jedoch die Aufnahme der liberalen jüdischen Gemeinden, die ihren Anteil an den Bundesmitteln des Staatsvertrages eingefordert hatten, unter das Dach des Zentralrates. Damit war eine Spaltung der religiös pluralistischer werdenden Judenheit auf deutschem Boden verhindert. Wie fast bei allen deutschen Juden war auch der Lebenslauf Spiegels vom Schrecken und der Erinnerung an den Nazi-Terror geprägt. Den NS-Rassenwahn überlebte er als Kind versteckt im besetzten Belgien, während seine ältere Schwester in den Tod im Konzentrationslager verschleppt wurde. 1945 kehrte die Familie nach Warendorf zurück. Nach dem Vorbild seines Vaters, der drei Konzentrationslager durchlitten hatte, widmete sich Spiegel später dem Aufbau des jüdischen Gemeindelebens. Spiegel arbeitete von 1965 an als Redakteur und gründete 1986 auf Anregung des TV-Entertainers Hans Rosenthal eine Künstleragentur. Bereits in Spitzenpositionen jüdischer Organisationen, wurde Spiegel 1993 zunächst Vizepräsident des Zentralrates. Nach dem plötzlichen Tod von Bubis trat er 2000 dessen Nachfolge an. Zunächst lediglich als "Übergangspräsident" eingeschätzt, gewann er rasch eigene Kontur. Von Insidern wird am ehesten Zentralrats-Vizepräsident Salomon Korn als der "natürliche" Nachfolger Spiegels gesehen, der die schwierigen Aufgaben der Zukunft übernehmen könnte. Der 1943 in Polen geborene Frankfurter Architekt und Akademiker vereinige Elan mit Intellekt, heißt es. Er war bereits zur Jahreswende 1999/2000 nach dem Tod von Ignatz Bubis als oberster Repräsentant der Juden im Gespräch. Mehr als ein Jahrzehnt älter als Korn ist Vizepräsidentin Charlotte Knobloch aus München (siehe Interview), was ihre Wahlchancen mindern könnte. Wer immer dem konzilianten "Brückenbauer" Spiegel im Amt des Zentralratspräsidenten nachfolgt, der braucht nicht nur die Kraft eines Herkules - sondern auch die Weisheit Salomons. (Text/Bild: dpa)